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seminararbeit/seminararbeit.tex

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\subject{Seminararbeit}
\title{Albert Göring der gute Göring?}
\author{Simon Bruder}
\date{\DTMdisplaydate{2021}{11}{09}{-1}}
\begin{document}
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\begin{titlepage}
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\vspace{0pt}\includegraphics[width=5cm]{logo} & Schuljahr 2020/22
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\begin{center}
\sffamily\bfseries\Large Seminararbeit im W-Seminar \\
„Wer hält stand?“ Widerstand im Dritten Reich
\end{center}
\begin{center}
\sffamily\bfseries\large Thema der Arbeit: \\
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\end{center}
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Verfasser: & \@author \\
Kursleiterin: & StRin i. K. Frau Pohl \\
Abgabetermin: & \@date \\
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\begin{tabularx}{\textwidth}{ | l | l | X | l | l | l | }\hline
\textbf{Bewertung} & Note & Notenstufe in Worten & Punkte & & Punkte \\\hline
Schriftliche Seminararbeit & & & & ×3 & \\\hline
Abschlusspräsentation & & & & ×1 & \\\hline
\multicolumn{5}{r|}{Summe:} & \\\cline{6-6}
\multicolumn{5}{r|}{Gesamtleistung = Summe : 2 (gerundet):} & \\\cline{6-6}
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& (Datum und Unterschrift der Kursleiterin) \\
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\tableofcontents
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\section{Einleitung}
„The results of the interrogation of Albert GOERING,
brother of the REICHSMARSCHALL Hermann,
constitutes as clever a piece of rationalization and white wash as SAIC has ever seen.
Albert GOERINGs lack of subtlety is matched only by the bulk of his obese brother.“
\cite[3]{narareport}
So beginnt Paul Kubala,
Major des \textit{Seventh Army Interrogation Center},
den Bericht über das Verhör Albert Görings vom 19. September 1945.
Für ihn und viele Andere zu seiner Zeit
war der Name Albert Göring kein Begriff
und es schien daher unvorstellbar,
dass der Bruder des Reichsmarschalls Hermann Göring
nicht auch ein glühender Nationalsozialist war.
Daher ist es nachvollziehbar,
dass Kubala und andere Vernehmungsbeamte Albert Göring misstrauten,
als dieser ihnen berichtete,
er sei Gegner des Nationalsozialismus und habe Verfolgten geholfen.
Auch fast 80 Jahre nach diesem Verhör
ist Albert Göring in der breiten Öffentlichkeit immer noch unbekannt
und aufgrund seines Namens vermutet man in ihm auch nicht direkt einen Widerstandskämpfer.
Es stellt sich die Frage,
ob dies darin begründet ist,
dass Albert Göring nicht ausschließlich gegen die Gräueltaten des Nationalsozialismus aktiv war,
sondern unter Umständen diesen teilweise durch sein brüderliches Verhältnis zu Hermann Göring,
der unmittelbar an der Planung dieser beteiligt war,
auch behilflich war.
Daher soll diese Seminararbeit sich mit Albert Göring und besonders mit seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus beschäftigen
und genauer beleuchten,
ob sein Einsatz für Verfolgte die Bezeichnung als „guter Göring“ rechtfertigt
oder ob dies geschichtlich nicht haltbar
und wie Kubala es vermutet eine „Reinwaschung“ seiner Vergangenheit ist.
Hierfür soll zunächst der familiäre Hintergrund von Albert und Hermann Göring genauer beleuchtet werden,
insbesondere auch, wie sich dieses Verhältnis in den Jahren, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, entwickelte.
Danach soll analysiert werden,
ob Albert Göring durch die Stellung im Nationalsozialismus,
die er durch seinen Bruder hatte,
persönlichen Profit aus der Herrschaft der Nationalsozialisten ziehen konnte.
Schließlich soll noch darauf eingegangen werden,
in welchem Ausmaß Albert Göring bei den Rettungen beteiligt war und sein eigenes Leben riskierte
oder ob er die Rettungen allein aus Opportunismus oder einem Hintergedanken durchführte,
wenn sie für ihn mit wenig Aufwand und ohne größere Gefährdung möglich waren.
\section{Albert Göring der gute Göring?}
\subsection{Familiärer Hintergrund}
Albert Göring wurde am \DTMdisplaydate{1895}{3}{9}{-1} in Berlin-Friedenau \cite[Vgl.][29]{burkehb}
als Sohn des preußischen Offiziers, Juristen und Diplomaten Heinrich Ernst Göring
und dessen zweiter Ehefrau Fanny Göring, geborene Franziska Tiefenbrunn,
in eine preußische Beamtenfamilie geboren.\cite[Vgl.][21f.]{burkehb}
Er war das jüngste von fünf Geschwistern,
darunter seine ältere Schwester Olga\cite[Vgl.][53]{burkehb} und der 1893 geborene Hermann, der spätere Reichsmarschall.\cite[Vgl.][5]{wylliewr}
Eine wichtige Rolle in seiner Kindheit spielte der Taufpate aller Kinder, der Doktor Hermann von Epenstein,
auf dessen Burgen Mauterndorf und Veldenstein die Familie häufig Zeit verbrachte.
Umstrittenen Gerüchten zufolge soll er der Vater Alberts sein,
da Alberts Aussehen seinem ähnelt und er Albert zunächst mehr Zuneigung als Hermann zeigt,
was sich jedoch im Laufe der Zeit durch eine höhere Übereinstimmung mit Hermanns Interessen änderte.\cite[Vgl.][31f.]{burkehb}
Die Unterschiede der Brüder wurden früh deutlich:
Hermann interessierte sich aufgrund von Besuchen mit seinem Vater bei preußischen Aufmärschen\cite[Vgl.][28]{burkehb} für das Militär,
germanische Legenden, den Jagdsport und das Klettern.
Mit 13 Jahren besuchte er die Karlsruher Militärakademie,
was durch Hilfe von Epensteins ermöglicht wurde.
Dort entwickelte er sich anders als in den zuvor besuchten Schulen zum Musterschüler.\cite[Vgl.][11]{wylliewr}
All das legte schon in jungen Jahren die Grundsteine für seine spätere nationalsozialistische Karriere.
Albert hingegen war entgegen von Epensteins Erwartungen eher introvertiert und schüchtern,
weshalb er zu seiner militärischen Erziehung auf ein Hersbrucker Internat geschickt wurde
um dies zu ändern.
In seiner weiteren Ausbildung wendete er sich jedoch trotzdem nicht dem Militär zu,
sondern besuchte eine zu seiner Zeit unübliche technische Realschule,
was ihm später die Arbeit als Ingenieur ermöglichte.
Durch sein Interesse an Kunst, Kultur und Musik, welches er mit von Epenstein teilte,
gewann er schließlich dennoch dessen Akzeptanz.\cite[Vgl.][13f.]{wylliewr}
Ein weiterer nennenswerter Unterschied ist der Umgang beider mit der jüdischen Abstammung von Epensteins,
der allerdings zum Katholizismus konvertiert war.\cite[Vgl.][9]{wylliewr}
Hermann sah ihn nicht als Juden, was in einem Ereignis besonders gut zu sehen ist:
Als er in der Schule über seinen größten Helden schreiben soll, entschied er sich für von Epenstein.
Daraufhin wurde er vom Direktor und seinen Mitschülern antisemitisch schikaniert,
was er nicht verstehen konnte, da von Epenstein für ihn nur Katholik war.
Trotz dieses dramatischen Erlebnisses hinterließ es keinen bleibenden Eindruck bei Hermann,
denn er plante später selbst ähnliche und meist noch brutalere Angriffe auf Juden und Menschen, die sie unterstützen.
Albert hingegen half später den Opfern genau dieser Angriffe,
obwohl kein derartig einschneidendes Erlebnis mit Antisemitismus in seiner Geschichte bekannt ist.\cite[Vgl.][39f.]{burkehb}
Die Unterschiede wurden dadurch verstärkt, dass Hermann und Albert Göring sich häufig nicht gesehen haben:
Als Kinder wurden sie früh durch den Besuch unterschiedlicher Schulen getrennt,
danach hielt Albert laut Hermann aufgrund von dessen Engagement in der NSDAP Abstand von ihm.
Ihre Begegnungen beschränkten sich auf familiäre Anlässe,
bei denen sie sich trotz der angespannten Lage wie Brüder verhielten,\cite[Vgl.][40]{wylliewr}
wenn auch mit weniger Herzlichkeiten als zuvor.\cite[Vgl.][58]{burkehb}
Beispielsweise hat Albert, gemeinsam mit seiner Schwester Olga, bei Hermann Görings Feier des gelungenen „Anschlusses“ Österreichs,
als dieser beiden einen Wunsch erfüllen wollte,
sich die Freilassung eines von den Nationalsozialisten deportieren Adeligen gewünscht,
was die eigentliche Feierstimmung Hermanns dämpfte.\cite[Vgl.][94f.]{burkehb}
In seinem Verhör durch das US-Militär äußerte sich Albert Göring ähnlich über die zwei verschiedenen Verhältnisse zu seinem Bruder:
„As brothers, we were very close together[…]. I have had no relations with him as a statesman.“\cite[12f.]{naraverhör}
\subsection{Stellung im Nationalsozialismus}\label{stellung-ns}
Um die Stellung Albert Görings im Nationalsozialismus zu verstehen,
ist es hilfreich, zuerst die Stellung Hermann Görings zu betrachten.
Schon 1922, als er zum ersten Mal eine Rede Hitlers hörte,
verpflichtete er sein Schicksal Hitler und trat der NSDAP bei.\cite[Vgl.][37]{wylliewr}
Da die NSDAP noch sehr jung war, wurde Hermann Führer der SA,\cite[Vgl.][41]{wylliewr}
mit der er kurz darauf am gescheiterten Hitlerputsch beteiligt war.\cite[Vgl.][43]{wylliewr}
Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 wurde Hermann Göring zuerst Reichskommissar für Luftfahrt \cite[Vgl.][60]{wylliewr}
und später Reichsmarschall und der designierte Nachfolger Hitlers.\cite[Vgl.][175]{burkehb}
Damit gehörte er zu den ranghöchsten Nationalsozialisten
und hatte dadurch eine sehr hohe Stellung im Staat und der Partei.
Albert Göring hingegen war der NSDAP gegenüber durchwegs negativ eingestellt,
und das schon vor der Zeit des Hitlerputsches im November 1923.\cite[Vgl.][58]{burkehb}
Deswegen emigrierte er als unmittelbare Konsequenz der Machtübernahme durch die NSDAP in Deutschland 1933 nach Österreich
und nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an,
um dort zunächst ein Leben ohne Einfluss der NSDAP führen zu können.
Daran sieht man deutlich,
dass Albert Göring kein großes Interesse daran hatte,
seine Position zu Hermann Göring zu seinen eigenen Gunsten auszunutzen.
Hätte er dies gewollt,
wäre es für ihn deutlich komfortabler gewesen in Deutschland zu bleiben,
wo er als Teil der neu entstandenen nationalsozialistischen Elite neue Privilegien genossen hätte.\cite[Vgl.][68]{burkehb}
Allerdings konnte Albert Göring auch nach seiner Emigration nach Österreich
von Folgen der Nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland profitieren,
wenn auch nur indirekt.
Er bekam von Oskar Pilzer, dem Eigentümer der Filmproduktion Tobis-Sascha, ein Stellenangebot,
was vermutlich durch die Hoffnung der jüdischen Eigentümer motiviert war,
so einer zwanghaften Übernahme durch die Nationalsozialisten vorzubeugen.
Diese war zu befürchten, da Tobis-Sascha die größte Filmproduktionsgesellschaft Österreichs war
und von deutscher Seite ein starkes Interesse daran bestand,
auch von dieser Stellung zu profitieren, sowohl monetär als auch zu Propagandazwecken.
Der Abwendungsversuch war allerdings schlussendlich nicht erfolgreich,
da durch ein Importverbot und das Einfrieren der Konten durch den Propagandaminister Joseph Goebbels Tobis-Sascha so angeschlagen war,
dass das Unternehmen 1937 für einen symbolischen Betrag an die deutsche Creditanstalt verkauft werden musste.\cite[Vgl.][68f.]{burkehb}
Albert Göring war auch anderen Parteigrößen als seinem Bruder bekannt,
jedoch nicht positiv, wie im Fall von Heinrich Himmler.
Diesem waren seine subversiven Aktionen durchaus bekannt,
weswegen er aktiv versuchte, Albert Göring außer Gefecht zu setzen.
Durch innerparteiliche Konflikte mit Hermann Göring wurde er noch stärker dazu motiviert,
da das Bekanntwerden der Tatsache, dass sein Bruder im Widerstand aktiv war,
das Aus für Hermann Görings Karriere bedeutet hätte.\cite[Vgl.][128]{burkehb}
Selbst hatte Albert Göring nur wenig Einfluss,
er war fast immer auf seinen Bruder oder eine Verwechslung mit ihm angewiesen.
Oft gingen seine Gegenüber, als er sich ihnen auswies davon aus,
er sei ähnlich einflussreich wie sein Bruder,\cite[Vgl.][125]{wylliewr}
oder hielten ihn schlicht für seinen Bruder.
Dies nutzte er beispielsweise aus,
als er einen Brief an einen Lagerkommandanten,
in dem er um die Freilassung eines Gefangenen bat,
mit dem Familienwappen versah und diesen mit „Göring“,
wie es Ernst Neubach in seinem Zeitungsartikel „Mein Freund Göring“ beschreibt,\cite[Vgl.][123]{burkehb}
oder „Hermann Göring“,
wie Neubach es seiner Tochter Christine Schöffels erklärte,\cite[Vgl.][91]{burkehb}
unterschrieb.
Wenn Albert Göring seinen Bruder um Hilfe bitten musste,
so unterstützte dieser die Rettungen nicht immer nur aus reiner Brüderlichkeit,
auch wenn Albert sicherlich durch sein gutes persönliches Verhältnis einen gewissen Druck ausübte.
Albert Göring bekam nach der Unterstützung reicher Juden
von diesen oft als Dank Gemälde und Kunstgegenstände geschenkt,
welche er dann häufig an seinen Bruder weitergab,
um sich für die Mithilfe erkenntlich zu zeigen
und womöglich um sich bei den nächsten Aktionen erneut seine Rückendeckung zu sichern.\cite[Vgl.][189]{burkehb}
Trotz der Unterstützung seines Bruders,
ist es unwahrscheinlich, dass Albert Göring durch diese Geschenke den Nationalsozialismus gestärkt hat.
Hierdurch wird auch erneut die Abhängigkeit von Hermann Göring deutlich,
ohne dessen Gewähren viele Taten des Widerstandes für Albert Göring deutlich schwieriger gewesen wären.
Ein weiteres Beispiel für Albert Görings Verhältnis zum Nationalsozialismus
ist sein Umgang mit diesem in der Nachkriegszeit.
In dieser lehnte er auch Angebote ab,
die ihm das Leben erleichtert hätten,
was in gewisser Weise eine Fortsetzung seines, durchaus als stur zu betrachtenden, idealistischen Kampfes war.
Beispielsweise weigerte er sich, seinen Nachnamen zu ändern,\cite[Vgl.][207]{burkehb}
obwohl dieser ihm insbesondere bei der Arbeitssuche oft daran hinderte,
eingestellt zu werden,
da der Nachname unweigerlich die Frage mit sich zog, ob er mit dem Reichsmarschall verwandt sei.
Diese Tatsache schreckte Viele in der Nachkriegszeit ab,
da in dieser Zeit versucht wurde, die NS-Vergangenheit zu verdrängen,
was mit Albert Göring als andauernder Erinnerung daran nicht möglich war.\cite[Vgl.][212]{burkehb}
\subsection{Persönlicher Einsatz für Rettungen}
Ein wichtiger Faktor zur Bewertung von Albert Görings Verhalten ist sein persönlicher Einsatz für Verfolgte
und damit auch das Risiko, welches er eingegangen ist,
selbst verfolgt zu werden.
Um dieses und die Stärke der Kritik zu bewerten,
lässt sich das Stufenmodell des abweichenden Verhaltens nach Peukert heranziehen.
Dieses teilt Verhalten nach wachsender Öffentlichkeit und Generalität der Kritik in die Stufen
Nonkonformität, Verweigerung, Protest und Widerstand ein.\cite[Vgl.][236]{peukertewp}
Zu allen der vier Stufen lassen sich passende Verhaltensweisen bei Albert Göring erkennen,
wobei die Übergänge jedoch oft nicht klar abzugrenzen sind.
So finden sich in der Anfangszeit viele Taten der Nonkonformität,
wie beispielsweise die Emigration nach Österreich,
die dann fließend in höhere Stufen übergehen.
Ein Beispiel für sein abweichendes Verhalten ist
die Demonstration seiner Ablehnung des NS-Regimes in seiner Position als Exportchef bei Škoda.
Dort versteckte er diese nicht, sondern machte sie im Gegenteil auf vielfache Weise deutlich.
So benutzte er nach Aussage eines Škoda-Mitarbeiters nie den Hitlergruß,
hing in seinem Büro gegen alle Vorschriften kein Hitlerfoto auf
und äußerte sich „immer offen gegen den Nationalsozialismus\cite[117]{burkehb},
wie es ein Mitarbeiter im Pilsener Škoda-Werk beschrieb.\cite[Vgl.][117]{burkehb}
Dieses Verhalten lässt sich am ehesten der Verweigerung zuordnen,
da große Teile des Systems kritisiert werden und dies vergleichsweise öffentlich geschieht.
Durch die Ablehnung verschiedenster Regelungen und Institutionen
lässt sich Alberts Unterstützung der Schauspielerin Henny Porten als eine Handlung des Protestes sehen.
Diese bekam aufgrund ihres jüdischen Ehemannes keine Rollen mehr zugeteilt, was sie finanziell belastete.
Albert Göring war bei der Unterstützung beteiligt,
da er sich bei seinem Arbeitgeber Tobis-Sascha dafür einsetzte, dass sie bei diesem unter Vertrag gestellt wird.
Nun ist dazu noch wichtig zu wissen, dass Albert Göring in diesem Fall nicht von sich aus handelte,
sondern auf die Bitte Hermanns, der wiederum von seiner Frau Emmy darum gebeten wurde.\cite[Vgl.][100]{wylliewr}
Daher ist in dieser Angelegenheit das konkrete Risiko, das Albert Göring einging,
anders als in den meisten Fällen,
vergleichsweise gering.
Trotz der Initiative durch Hermann lässt sich hier von Protest sprechen,
da dessen Ansichten nicht repräsentativ für das System sind, gegen das Albert sich wehrt.
Auch mit seiner Anstellung bei Tobis-Sascha verbunden war die Unterstützung bei Oskar Pilzers Flucht.
Dieser war aufgrund seines jüdischen Glaubens und der fehlenden Bereitschaft,
die Sascha-Tobis freiwillig an Goebbels Propagandaministerium zu übergeben,
im Visier der Nationalsozialisten.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Pilzer von der Gestapo festgenommen
und an einen unbekannten Ort gebracht.
Durch das Einschalten Albert Görings konnte Pilzer noch am selben Tag ausfindig gemacht und befreit werden.
Anschließend wurde er von Göring selbst auf die Flucht vorbereitet und an die italienische Grenze gebracht,
um von dort aus nach Frankreich zu fliehen.
Dort verstarb er im Zuge von Komplikationen bei einer Operation,
doch seiner Familie gelang schlussendlich die Flucht in die Vereinigten Staaten.\cite[Vgl.][91f.]{burkehb}
Durch die persönliche Eskortierung an die italienische Grenze begab sich Albert Göring hier in unmittelbare Gefahr.
Ein höheres Risiko ging Albert Göring auch ein,
als er sich öffentlich für eine siebzigjährige jüdische Frau einsetzte,
die von SA-Männern dazu gezwungen wurde,
im Beisein vieler Schaulustiger, die Straße zu schrubben und ein Schild mit einer antisemitischen Aufschrift zu tragen.
Als Albert Göring dies sah, befreite er nach seiner Aussage die Frau aus der Menge
und wurde daraufhin von den SA-Männern verhaftet.\cite[Vgl.][31]{naraverhör}
So kam es aufgrund von derartigen Aktionen insgesamt vier Mal zu Haftbefehlen gegen ihn,\cite[Vgl.][76]{burkehb}
die zwar jedes Mal wieder aufgehoben wurden,
worauf er sich jedoch nicht verlassen konnte.
Verschiedene weitere Akte von Nonkonformität bis Widerstand
finden sich bei Albert Görings Umgang mit den Arbeitern im Pilsener Škoda-Werk.
Dort wurde er eingestellt, nachdem Bruno Seletzky, Exportleiter für den Balkan, ihm sein Vertrauen aussprach.
Dadurch erhofften sich Seletzky und die tschechische Führung,
der Auflösung Škodas durch die Reichswerke Hermann Göring AG,
die Gerüchten zufolge geplant war,
entgegenzuwirken.
Nach seiner Anstellung konnte er sich tatsächlich erfolgreich für ein Weiterbestehen der Firma einsetzen
und viele tschechische Interessen gegen den deutschen Einfluss verteidigen,
der bis kurz zuvor durch die Durchsetzung der Firmenleitung mit deutschem Personal vorherrschte.
Im Škoda-Werk gab es einige Dissidenten, die Sabotageakte oder Widerstand übten,
die Albert Göring gewähren ließ und auf vielfache Weise unterstützte.
Einer von ihnen war der eben schon genannte Bruno Seletzky, dessen Flucht in die Schweiz Göring später organisierte.\cite[Vgl.][115 117]{burkehb}
Auch Dr. Josef Charvát, den er durch Dissidenten innerhalb Škodas kennenlernte
und der aufgrund seiner Leitung der als illegal eingestuften Pfadfinderorganisation Junák
im Konzentrationslager Dachau inhaftiert war,
half Albert Göring dabei, freizukommen.
Dies erreichte er durch das Senden eines absichtlich missverständlichen oder täuschenden Briefes,
der bereits in \ref{stellung-ns} thematisiert wurde,
an den Dachauer Lagerkommandanten,
in welchem er die Freilassung Charváts forderte.
Ohne Görings Absicht und Wissen, rettet er dabei zwei Gefangene,
da in Dachau zu der Zeit zwei Häftlinge mit dem Namen Charvát inhaftiert waren
und der Lagerkommandant nicht wusste, welchen er entlassen sollte.
So kamen durch diese Aktion der Arzt Charvát und der Kommunistenführer\cite[Vgl.][2]{spörlgl} Charvát frei.\cite[Vgl.][122]{burkehb}
Im Prozess, der nach dem Krieg gegen Albert Göring aufgrund seiner vermuteten Mittäterschaft lief,
machte sich sein Einsatz für die Škoda-Mitarbeiter bezahlt.
Vor Gericht unterstützten ihn viele ehemalige Kollegen freiwillig und sagten zu seinen Gunsten aus.
Sie beteuerten, er habe immer im Sinne der tschechische Belegschaft gehandelt.\cite[Vgl.][194]{burkehb}
Schließlich wurde Albert Göring durch die vielen Aussagen für ihn,
die sich mit den dem Gericht vorliegenden Akten deckten,
in allen Anklagepunkten freigesprochen.\cite[Vgl.][196]{burkehb}
Die wahrscheinlich größte Rettungsaktion Albert Görings ist gleichzeitig seine letzte
und eindeutig dem Widerstand zuzuordnen.
Nachdem er immer mehr über die Vorgänge in den Vernichtungslagern erfahren hatte
und sich selbst Vorwürfe bezüglich der zu geringen Ausmaße seiner vergangenen Rettungen gemacht hatte,
plante er eine Befreiung vieler Häftlinge des KZ Theresienstadt.
Dies war möglich, da er in seiner Position als ranghoher Škoda-Mitarbeiter mit acht Lastwagen zu diesem fuhr
und den Lagerkommandanten um Arbeiter für das Škoda-Werk bat.
Dieser gewährte die Bitte auch, vermutlich mit dem Hintergedanken,
sich so vor Konsequenzen nach dem abzusehenden Kriegsende schützen zu können,
womit er allerdings ein Todesurteil nicht umgehen konnte.
Die vermeintlichen Arbeiter nahm Göring allerdings nicht mit nach Pilsen,
sondern ließ sie in einem nahe gelegenem Wald frei.\cite[Vgl.][166]{burkehb}
Spätestens nach dieser Aktion waren die schon seit 1939 bei der SS und Gestapo über ihn vorliegenden Beweise\cite[Vgl.][128]{burkehb} zu umfangreich,
sodass erneut ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde,
von dem Albert Göring gerade noch rechtzeitig erfuhr, um zu flüchten.
Ausgehend davon, dass er Manfred von Killinger, der Botschafter in Rumänien,
aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer gegen die Weimarer Regierung agierenden Terrororganisation als Mörder bezeichnete,\cite[Vgl.][167]{burkehb}
wandte dieser sich an den General der Prager Polizei Karl Hermann Frank.
Auch diesem war Albert Göring schon seit Langem ein Dorn im Auge,
weswegen er umgehend Himmler um die Verhaftung Albert Görings bat.
Nur mit Glück konnte Albert Göring zu Josef Charvát fliehen.\cite[Vgl.][168 170]{burkehb}
Ein zweiter Versuch der Anklage scheiterte an der Unzuverlässigkeit der Informantin der Gestapo,
Alberts Sekretärin im Škoda-Werk.\cite[Vgl.][171f.]{burkehb}
Da er von seinem Bruder durch die wachsende Überlegenheit Himmlers keine Unterstützung mehr erhielt,
war es ihm nicht mehr möglich weiter Widerstand zu leisten.\cite[Vgl.][9]{naraverhör}
Damit war seinen Widersachern trotz der missglückten Verhaftungen ihr Hauptanliegen doch geglückt.
Im Anbetracht dessen, stellt sich die Frage, ob Albert unter der Annahme,
dass Hermann ihm nicht zur Seite gestanden, ihn unterstützt und gewähren lassen hätte,
überhaupt Widerstand geleistet hätte.
Es wäre vorstellbar, dass dies hätte eintreten können,
wenn Albert ihn nicht für seine Unterstützung mit Kunst belohnt hätte, wie in \ref{stellung-ns} beschrieben,
und dieser deswegen für sich keinen Mehrwert mehr darin sähe.
Ob die Verweigerung der Unterstützung tatsächlich die Folge dessen gewesen wäre,
ist allerdings nicht bekannt, da die Gesten der Dankbarkeit in der Realität nicht geendet haben.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte Albert Göring dann wenn überhaupt nur wenige Aktionen durchführen können,
da mindestens drei seiner Haftbefehle durch Hermann Göring aufgehoben wurden.\cite[Vgl.][154, 171]{burkehb}
Ohne diese Eingriffe seines Bruders wäre er vermutlich für längere Zeit inhaftiert oder zumindest derartig eingeschüchtert worden,
dass er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, weiter Widerstand zu leisten.
Weiterhin wären auch Rettungen nicht möglich gewesen,
bei denen sich Albert an Hermann wandte und dieser für ihn die entscheidende Aktion in Gang setzte.
\section{Fazit}
Will man nun die Frage klären, ob Albert Göring der „gute Göring“ ist,
so lässt sich dies historisch nicht zweifelsfrei sagen,
da die Informationen hierfür nicht ausreichen.
Beispielsweise widersprechen sich teilweise die vorhandenen Informationen je nach Quelle,
wie im oben genannten Fall der Unterschrift mit „(Hermann) Göring“,
wozu Ernst Neubach und Christine Schöffel unterschiedliche Aussagen machen.
Daher kann sich im Folgenden auch nur auf die bekannten Informationen berufen werden
in der Annahme, dass diese korrekt sind.
Auch ist es wichtig zu unterscheiden, ob das „gut“ relativ zu seinem Bruder gemeint ist
oder sich auf die gesamte Gesellschaft bezieht.
Diese beiden Fälle dürfen nicht vermischt werden,
da nicht mit den zweifelsfrei zu verurteilenden Taten Hermann Görings
weniger schlimme Taten gerechtfertigt werden können.
Im Verhältnis zu seinem Bruder war Albert Göring definitiv der Bessere,
da er weder direkt noch indirekt an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt war,
diese konsequent ablehnte und als Reaktion teilweise Widerstand zeigte.
Das Verhältnis der beiden Brüder beschränkte sich auf ein familiäres,
durch welches der Nationalsozialismus nicht unterstützt wurde.
Im Gegensatz zu Hermann setzte sich Albert Göring nicht nur für Personen ein,
denen er oder Familienmitglieder besonders nahe standen,
wie im Fall von Henny Porten,
sondern wie bei der Befreiung von Gefangenen im KZ Theresienstadt
oft auch für ihn komplett Unbekannte.
Ein Urteil für Albert Görings „Gutheit“ im Vergleich zur Gesamtgesellschaft gestaltet sich schwieriger.
In Bereichen, in denen die historische Korrektheit nicht vollständig gegeben sein muss,
lässt sich allerdings auch hier sagen,
dass Albert Göring durchaus gut war.
Hierfür sprechen seine vielen Rettungsaktionen,
in welchen er teilweise sein Leben oder mindestens seine Freiheit aufs Spiel setzte.
Er stand immer zu seiner Einstellung und gab für diese seinen eigenen Komfort auf.
Albert Göring verkörpert damit einen Menschen,
der seinen Moral- und Gesellschaftsvorstellungen in fast schon naiver Weise folgt.
Auch das Festhalten an seinem Nachnamen spricht für diesen Idealismus.
Dies widerspricht der Möglichkeit, Albert Göring hätte die Rettungen nur durchgeführt,
um diese Taten nach dem Krieg in einem Prozess als strafmildernd anführen zu können, um ein milderes Urteil zu erhalten.
Wenn man dies nämlich annimmt, dann hätte Albert Göring viele Risiken gar nicht eingehen müssen,
da diese nicht notwendig gewesen wären, um einen solchen Eindruck zu erwecken.
Daher erscheint seine eigene Aussage auch glaubwürdig, dass er Verfolgten tatsächlich aus einer
„humane and religious duty“ \cite[10]{naraverhör} und nicht nur aus Opportunismus half.
Ist allerdings die vollständige historische Genauigkeit von außerordentlicher Relevanz,
wie beispielsweise bei der Verleihung des Titels „Gerechter unter den Völkern“ durch die Gedenkstätte Yad Vashem,
kann man nicht die Korrektheit aller vorliegenden Informationen annehmen,
sondern muss die schlechte Lage dieser berücksichtigen.
Der Gedenkstätte liegen keine Primärquellen vor, die für außergewöhnliche Risiken sprechen,
denen Albert Göring ausgesetzt gewesen sein sollte,
wodurch sich dessen „Gutheit“ nicht zweifelsfrei belegen lässt.
Daher verlieh sie Albert Göring nicht den Titel.\cite[Vgl.][]{wineryadvashem}
Sollten keine weiteren Primärquellen über Albert Görings Taten gefunden werden,
was im Anbetracht der langen Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu vermuten ist,
ist diese Schlussfolgerung die einzig mögliche,
die den kompletten historischen Kontext berücksichtigt.
Abschließend lässt sich sagen, dass man im Alltag Albert Göring ohne ein schlechtes Gewissen als gut bezeichnen kann.
Allerdings sollte auf den Anspruch der absoluten historischen Korrektheit verzichtet werden,
da Albert Görings Person bei Wahrung dieser mit den aktuell bekannten Quellen nicht zweifelsfrei bewertbar ist.
% appendix
\clearpage
\appendix
% bibliography
\unnumberedsection{Quellen- und Literaturverzeichnis}
\printbibliography[keyword=Quelle, heading=quellenheading]
\printbibliography[notkeyword=Quelle, heading=subbibliography]
\clearpage
\singlespacing
\unnumberedsection{Eigenständigkeitserklärung}
Ich erkläre hiermit, dass ich die Seminararbeit ohne fremde Hilfe angefertigt
und nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Uffenheim, \DTMdisplaydate{2021}{11}{09}{-1}
\vspace{1.5cm}
\makebox[6cm]{\hrulefill} \\
\makebox[6cm][c]{(Simon Bruder)}
\end{document}